10-Punkte Fahrplan: Kohleausstieg rechtsverbindlich einleiten

Ende
Januar hat die Kohlekommission der Bundesregierung ihren
Abschlussbericht zum Kohleausstieg vorgelegt. Fast drei Monate später
gibt es innerhalb der Bundesregierung weiterhin keine klare Position,
wann und wie die ersten Kohleblöcke abgeschaltet werden sollen. Noch
nicht einmal konkrete Gespräche mit den Kraftwerksbetreibern hat es
gegeben. Das ist fahrlässig.

Nachdem
die Große Koalition den Kohleausstieg in eine Kommission verlagerte,
weil ihr der Mut fehlte, selbst über das Ende der Kohleverstromung
zu entscheiden, darf sie jetzt nicht den historischen Fehler begehen
und den Kompromiss von Kohle-Gewerkschaft, über Energiewirtschaft
bis hin zu den Umweltverbänden verschleppen und verwässern.
Angesichts dessen, dass die Bundesregierung bereits das Klimaziel
2020 deutlich reißt, darf nun nicht das nächste Ziel – bis 2022
insgesamt 12,5 Gigawatt (GW) an Kohlekapazität vom Netz zu nehmen –
durch Trödelei von Beginn an gefährdet werden.

Der
Kohlekompromiss ist ohnehin nur ein Kompromiss und mit Blick auf das
Endjahr nicht auf dem Pfad des Pariser Klimaschutzabkommens –
weswegen den Revisionsklauseln eine zentrale Rolle zukommt. Gerade
deswegen sind die ersten beiden Phasen der Abschaltung von
Kohlekraftwerken bei gleichzeitiger Erhöhung des Ausbaus der
Erneuerbaren Energien so zentral. Zumal eine rechtssichere
Abschaltung einen zeitlichen Vorlauf braucht. Auch für die Menschen
vor Ort braucht es endlich Klarheit und vor allem
Zukunftsperspektiven für eine Zeit nach der Kohle.

Ein
gesetzlicher Rahmen in Form eines Kohleausstiegsgesetzes mit einem
konkreten Abschaltplan sowie eines Maßnahmengesetzes, welches
festschreibt, wie der Bund den Strukturwandel in den Regionen genau
fördern will, muss daher jetzt auf den Weg gebracht werden. Denn
klar ist auch: Strukturhilfen darf es nur geben, wenn im Gegenzug
verbindlich Kohlekraftwerke abgeschaltet werden. Die jetzt im Raum
stehenden 40 Milliarden Euro der Bundesregierung über 20 Jahre
müssen an einen konkreten Kohleabschaltplan geknüpft sein.
Ansonsten droht im weiteren Prozess nicht nur der Klimaschutz unter
die Räder zu geraten. Vielmehr ist eine Kopplung der Gelder an
konkrete Abschaltungen von Kraftwerken ebenso essentiell, um
sicherzustellen, dass diese Gelder auch im Sinne von
Beschäftigungsgarantien für die Arbeitnehmer*innen in der Region
eingesetzt werden. Mit
diesem 10-Punkte-Fahrplan zeigen wir einen Weg auf, wie der Einstieg
in den Kohleausstieg auf Grundlage der Empfehlungen der
Kohlekommission unverzüglich, verbindlich und weitestgehend
entschädigungsfrei umgesetzt werden kann:

10-Punkte Fahrplan für den Kohleausstieg

“10-Punkte Fahrplan: Kohleausstieg rechtsverbindlich einleiten – Vorschläge der Kohlekommission endlich umsetzen” (PDF)

1. Gesetzlich fixierte Stilllegungen in den ersten beiden Phasen

Stilllegungen bis 2022

In
einem Kohleausstiegsgesetz wird nach Gesprächen mit den Betreibern
die entschädigungsfreie Stilllegung der neben der Sicherheitsreserve
zusätzlichen 3 GW Braunkohle und 4 GW Steinkohle aufgrund
Kraftwerksalter und Inflexibilität festlegt. Die Übergangsfrist bis
zur Stilllegung beträgt 1-2 Jahre.

Zur
Sicherung der Empfehlungen der Kohlekommission, dass durch die
Stilllegungen keine Arbeitsplätze gefährdet werden, müssen im
Rahmen der vereinbarten Strukturbeihilfen ausreichend Finanzmittel
zum Zwecke der Stilllegung von Kraftwerken bereitstehen, damit den
bisher im Tagebau und in den Braun- und Steinkohlekraftwerken
Beschäftigten weiterhin berufliche Perspektiven eröffnet werden.

Stilllegungen
ab 2022

Analog
zur ersten Phase wird für den zweiten Teil des
Kohleausstiegsgesetzes für die Zeit nach 2022 auf Grundlage von
Gesprächen zwischen der Bundesregierung und
den Kraftwerksbetreibern ein verbindlicher Abschaltplan von
Kohlekraftwerken, deren
Betriebsdauer älter als 25 Jahre – und damit entschädigungsfrei –
ist, verbunden mit einer Übergangsfrist zur Abschaltung von 3-4
Jahren, festgelegt. Um bei angeschlossenen Tagebauen von
Braunkohlekraftwerken die möglichen Entschädigungen durch
vorzeitige Eingriffe in das Eigentumsrecht zu klären, wird von
Seiten der Bundesregierung ein Wirtschaftsprüfer zur
Kostenermittlung beauftragt.

Für
Kraftwerke, deren Betriebsdauer zum Zeitpunkt ihrer Stilllegung
weniger als 25 Jahre beträgt, sind Entschädigungen im Lichte des
Kommissionsberichts zu prüfen. Dies gilt bei Braunkohlekraftwerken
auch für die angeschlossenen Tagebaue. Aufgrund des mangelnden
Wettbewerbs bei der Braunkohle muss dies über Einzelvereinbarungen
laufen. Bei der Steinkohle kann dies über Ausschreibungen mit
Stilllegungsprämien oder ebenfalls Einzelvereinbarungen erfolgen.
Eine Möglichkeit bietet in Anlehnung der Entschädigungsleistungen
die Formel für die Sicherheitsbereitschaft abzüglich der Kosten für
die Reservehaltung. Sie besteht aus zwei Komponenten: Den entgangenen
Deckungsbeiträgen am Strommarkt für vier Jahre und den Kosten der
Reservevorhaltung über vier Jahre. Zusätzlich sind ggf. die mit den
Tagebauen verbundenen Kosten zu berücksichtigen. Die Entschädigung
ist beihilferechtlich zulässig auszugestalten. Anlagen, bei denen
die Umstellung von Kohle auf emissionsarme Brennstoffe überwiegend
im Rahmen des Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetzes (KWKG) finanziert wird,
erhalten keine zusätzliche Entschädigungsleistung.

Zu
berücksichtigen ist bei der Höhe der Entschädigungen, dass einige
Betreiber aufgrund der ab August 2021 geltenden bindenden Vorgaben
für Großfeuerungsanlagen (BREF/EU-BVT-Vorgaben) ein
Interesse an einer Abschaltung haben, da bei ihnen die (technischen)
Nachrüstungen nicht wirtschaftlich sind. Daher sollten für
Kohlekraftwerke, für die die neuen BREF/EU-BVT-Vorgaben gelten und
deren Betriebsdauer unter 25 Jahren liegt, Stilllegungsprämien
ausgeschrieben werden. Eine Übersicht, welche Kohlekraftwerke nach
jetzigem Stand die Vorgaben nicht einhalten, findet sich in Anlage 2
sowie Anlage 3.

Jede
Stilllegung steht dabei unter dem Prüfvorbehalt der
Bundesnetzagentur zu einer möglichen Systemrelevanz (§ 13b EnWG).
Diese Einigungen müssen bis zum 30. Juni 2020 im
Kohleausstiegsgesetz festgelegt werden.

2.
Untersagung von neuen Tagebauen im Bundesberggesetz festschreiben

Im
Lichte der Ergebnisse der Kohlekommission muss bis zur Sommerpause
das Bundesberggesetz (BBergG) novelliert werden. Darin muss
festgelegt werden, dass keine neuen Tagebaue und Erweiterungen
bestehender Tagebaue mehr erschlossen werden dürfen. Dazu bedarf es
u.a. einer Änderung von § 2 BBergG. Dabei gilt es die kurzfristigen
Abschaltungen von Kraftwerken bis 2022 so umzusetzen, dass der
Hambacher Wald sowie die Dörfer Keyenberg, Kuckum, Berverath,
Mannheim, Morschenich
sowie Oberwestrich und Unterwestrich und im ostdeutschen Revier die
Dörfer Proschim, Mühlrose, Pödelwitz und Obertitz erhalten
bleiben. Einhergehend ist damit das Verbot von Zwangsenteignungen zur
Erschließung neuer Tagebaue. Bis zum endgültigen Beschluss muss ein
vollumfängliches Moratorium verhängt werden.

3. Rahmen für Revisionsklauseln entwickeln

Die
Kohlekommission hat sich auf Zwischenüberprüfungen
(Revisionsklauseln) für die Jahre 2023, 2026, 2029 und 2032 zur
Abschaltung von Kraftwerkskapazitäten geeinigt. Bereits jetzt bedarf
es der Festlegung eines institutionellen und methodischen Rahmens.
Dieser muss Kriterien und Indikatoren für die mögliche
beschleunigte Abschaltung von Kohlekapazitäten, resultierend aus den
beschlossenen Klimaschutzzielen definieren. Dies gilt auch mit Blick
auf das klimapolitisch notwendige Vorziehen des Enddatums 2038. Nur
so kann sichergestellt werden, dass die Pariser Klimaziele
eingehalten werden und Versorgungssicherheit garantiert wird sowie
der Netzausbau zügig voranschreitet. Dieses Monitoring muss
kontinuierlich durch ein unabhängiges Expertengremium begleitet
werden.

4. Maßnahmen für Strukturwandel festschreiben

Um
den Strukturwandel zielgerichtet zu gestalten, müssen einhergehend
mit dem Kohleausstiegsgesetz entsprechende Förderprogramme in einem
Maßnahmengesetz aufgelegt werden, die sich am Bedarf der Menschen
vor Ort orientieren und zusammen mit ihnen entwickelt werden. Ziel
muss es sein, dadurch die Arbeitnehmer*innen in den Regionen und
Branchen zu unterstützen, die von den Strukturveränderungen
betroffen sind. Zudem sollten die Kohlekonzerne und ihre
Zulieferfirmen bei verbindlicher Zusage zum Standort dabei
unterstützt werden, sich in Richtung Erneuerbare Energien,
Speichertechnologien und weiterer Zukunftstechnologien
weiterzuentwickeln. Das ist essentiell, um Kompetenz, Arbeitsplätze
und Identität in den Regionen zu halten – gerade für das
ostdeutsche Revier. Daher ist eine Kopplung eines Teils der
Strukturhilfen an konkrete Abschaltungen von Kraftwerken auch so
wichtig. Wenn die Strukturgelder unabhängig von einem konkreten
Abschaltplan an die entsprechenden Bundesländer gegeben werden,
droht gerade im ostdeutschen Revier, dass das Geld zwar erstmal an
die Bundesländer fließt, die entsprechenden Unternehmen dann aber
nicht umgebaut werden. Diese Kopplung von finanziellen Mitteln sollte
ähnlich wie beim EU-Fonds zur Anpassung an die Globalisierung mit
einer Standortzusage erfolgen, damit die Mittel aus den
Strukturbeihilfen auch wirklich genutzt werden, um für die Zeit
während und nach der Abschaltung der Kraftwerke die Arbeitsplätze
zu sichern und neue zu schaffen. Auch eine ‚Taskforce
Strukturwandel‘ ist sinnvoll. Sie fährt in die Kohleregionen und
entwickelt gemeinsam mit den Wirtschaftsakteuren zielgenaue Konzepte.
Aber auch Forschungs- und Kultureinrichtungen müssen dort ebenso wie
Bundesbehörden angesiedelt werden. Zudem braucht es einen Ausbau der
Infrastruktur als unverzichtbare Basis der Entwicklung.
Sicherzustellen ist dabei, dass es nur Strukturwandelhilfen gibt,
wenn im Gegenzug ein verbindlicher Abschaltplan für Kohlekraftwerke
gesetzlich festgelegt wird.

5. Rahmen zur Finanzierung von Ewigkeits- und Folgelasten schaffen

Um
die Finanzierung aller Rekultivierungs- und Nachfolgelasten nach
Beendigung des Braunkohleabbaus abzusichern, werden die in den
Kohleunternehmen dafür bestimmten Rückstellungen in einem
öffentlich-rechtlichen Fonds sichergestellt. Die Finanzmittel des
Fonds werden durch eine Abgabe auf die bis zur endgültigen
Stilllegung der Tagebaue noch abgebaute Braunkohle ergänzt.
Finanzvolumen der Stiftung sowie Abgabenhöhe werden auf Basis eines
unabhängigen Gutachtens – etwa durch Wirtschaftsprüfer – über
die Kostenschätzung aller Rekultivierungs- und Nachfolgelasten
festgelegt.

6. Kohleausstieg mit Strommarktdesign verzahnen

Durch
den Kohleausstieg und den damit verbundenen Erneuerbaren-Ausbau muss
ein angepasstes Strommarktdesign sowie die Ausrichtung des
Netzausbaus darauf geschaffen werden. Dafür müssen noch in diesem
Jahr Eckpunkte für ein zukunftsfähiges Strommarktdesign erarbeitet
werden. Falls im Erzeugungs- und Lastbereich Situationen entstehen,
so dass Versorgungsengpässe drohen, ist ein regional ausgerichteter
ökologischer Flexibilitätsmarkt das Mittel der Wahl. Er stellt die
Erneuerbaren Energien ins Zentrum der Stromerzeugung. Beim
ökologischen Flexibilitätsmarkt bemisst der Regulator (etwa die
Bundesnetzagentur), wie groß eine zu erwartende Versorgungslücke
ist, und schreibt die entsprechende Menge an zusätzlich benötigten
Kapazitäten aus. Im Rahmen einer Auktion bestimmt dann der
kostengünstigste Bieter die Höhe des zu zahlenden Preises für die
verlässliche Bereitstellung der benötigten Kapazitäten. Grundlage
der Entscheidung für einen Bieter sind folgende Kriterien:
Emissionen, Flexibilität, Verfügbarkeit und Regionalität. So
gewährleisten wir die Versorgungssicherheit und sorgen gleichzeitig
dafür, die Laufzeit von Kohlekraftwerken nicht unnötig zu
verlängern.

7. Erneuerbaren-Ausbau zügiger und verbindlicher voranbringen

Der
Kohleausstieg kann nur gelingen, wenn parallel dazu die Erneuerbaren
Energien massiv ausgebaut werden und die Erneuerbaren-Ausbauziele
gesetzlich festgeschrieben werden. Dabei müssen gleichzeitig die
Ausbaudeckel für Ökostrom gestrichen (§ 1), die Ausbaupfade für
Ökostromtechnologien angehoben (§ 4) und die Eigenstromregelungen
(§ 61) im EEG nach Klimaschutzgesichtspunkten ausgerichtet werden.
Letzteres führt dazu, dass Eigenstrom aus Erneuerbaren Energien
sowie hocheffizienter KWK von der EEG-Umlage befreit und damit noch
attraktiver wird.

8. Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz mit Blick auf Kohleausstieg novellieren

Das
Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz (KWKG) ist eine wesentliche Komponente
in Hinblick auf die Ausstiegsmechanismen. Dazu muss das Gesetz
novelliert und in diesem Zusammenhang bis 2030 verlängert werden.
Darin ist die Umstellung der Fernwärmeerzeugung auf Gas, Abwärme
und erneuerbare Wärme mit einer Gesetzesnovelle zu forcieren. Bei
der Umstellung muss sichergestellt werden, dass ein Anteil der
eingesetzten Energie aus Erneuerbaren Energien stammt und das dieser
Anteil sukzessive ansteigt. Dazu braucht es eine Anpassung des
Kohle-Ersatzbonus sowie einer Weiterentwicklung in Richtung ‚Grüne
Fernwärme‘.

9. Maßnahmen zur Einführung einer CO2-Bepreisung angehen

Um
eine ökologische Lenkungswirkung zu erreichen, ist neben dem
Ordnungsrecht auch ein CO2-Mindestpreis im Rahmen des europäischen
Emissionshandels (ETS) nötig. Damit werden fossile Energieträger
stärker bepreist und emissionsarme Energieträger werden günstiger.
Dies muss vorrangig in Zusammenarbeit mit unseren europäischen
Nachbarstaaten angegangen, notfalls aber auch national durchgesetzt
werden. Die CO2-Bepreisung muss am Ende aufkommensneutral
ausgestaltet sein, was bedeutet, dass der Staat darüber keine
zusätzlichen Einnahmen generiert. Die Gelder werden vollständig und
transparent für die Entlastung der Gesellschaft sowie für wirksamen
Klimaschutz verwendet.

10. Wettbewerbsfähigkeit der energie- und außenhandelsintensiven Industrie wahren

Mit dem Kohleausstieg
einhergehend braucht es eine sozial-ökologische Transformation der
Wirtschaft, durch die klimafreundliche Industrieprozesse gefördert
werden. Auf dem Weg dahin sollten im Lichte der Vereinbarungen der
Kohlekommission besonders außenhandels- und energieintensive
Branchen u.a. auf Grundlage der EU-Strompreiskompensationsliste
entlastet werden.

Quelle: https://www.gruene.de/artikel/10-punkte-fahrplan-kohleausstieg-rechtsverbindlich-einleiten



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